Beyond COVID-19 - Die Retail-Strategien von Telco Retail Executives
Als Telco-Retail-Spezialist stehen wir im permanenten Austausch mit den Retail- und IT Direktoren von Telekomunternehmen. Aus zahlreichen Gesprächen mit 70 Telecoms über deren Retail-Strategien haben wir für Sie die wichtigsten Entwicklungen herausgearbeitet und in einem Retail-Trend Report zusammengefasst. Falls Sie mehr über die wichtigsten Ansätze der Telekom Branche zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und Retail Performance erfahren möchten – hier finden Sie den Link.
In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Retail Strategien und ihre Entwicklung im Lichte der Pandemie.
Die Retail-Strategien vor COVID-19
Schon Monate bevor die Pandemie Einzug hielt, führten unsere Berater eine Reihe von Interviews mit Retail Entscheidungsträgern über ihre Ansätze zur Retail Transformation. Die wichtigsten Ziele und Initiativen vor Covid-19 lassen sich folgendermaßen kategorisieren und einreihen.
1. Die Optimierung von Retail-Prozessen
23% aller Statements zu den wichtigsten Zielsetzungen von Telco Executives beziehen sich auf die Optimierung von Retail-Prozessen. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet hierbei die Digitalisierung sowie die Verknüpfung der Vertriebskanäle und Customer Touchpoints zur Sicherstellung eines durchgängigen Service-Erlebnisses für die Kunden.
Einen großen Raum nimmt auch die Reduzierung administrativer Tasks in den Bereichen Stock Management, Point of Sale und After Sales Service ein. Die Zielsetzung liegt hier vor allem in der Beschleunigung von Arbeitsabläufen durch die Automatisierung von Arbeitsschritten. Optimierungspotential zeigt sich auch in der Betreuung von Vertriebspartnern sowie der Distribution von SIM-Karten.
2. Die Erweiterung des Service-Angebots
Mit 19 % rangieren Ziele zur Optimierung und Erweiterung des Serviceangebots an den Customer-Touchpoints auf Platz zwei der Prioritätenliste. Initiativen zum Ausbau des Self-Service- und Self-Care Angebots sind in dieser Kategorie stark vertreten. Ein besseres Serviceangebot umfasst zudem die intensivere Nutzung von Digital Signage sowie die Möglichkeit einer komfortablen Terminvereinbarung mit Beratern in den Filialen.
3. Unterstützung der Verkaufsberater
14% aller Angaben zu den wichtigsten Retail Initiativen beziehen sich auf eine bessere Unterstützung des Personals in den Geschäftsfilialen sowie in anderen Verkaufskanälen. Ansätze in diesem Bereich reichen vom Einsatz mobiler POS Lösungen bis hin zu Guided Selling Applikationen, die auch im Bereich Door-to-Door Sales sowie von Dealern eingesetzt werden können. Als wichtig erachtet wird zudem das Training des Personals, auch unter Anwendung moderner eLearning Methoden.
4. Ausbau des Online-Angebots
8% der vor dem Ausbruch der Pandemie geplanten Initiativen adressieren die Optimierung des Online Serviceangebots. Im Vordergrund steht hierbei der Ausbau von Online Shops mit Funktionen wie optimierten Recommendation Engines. Auch der Einsatz von E-Shop Lösungen in den Filialen wird von einigen Unternehmen angedacht.
5. Customer Insights & Personalisierung
Zu den vor der Pandemie erfassten Top Zielsetzungen von Telekoms zählt auch eine intensivere Nutzung von Kundeninformationen für eine bessere Personalisierung der Kundenkommunikation. Eine Herausforderung besteht in diesem Zusammenhang darin, dass die für eine 360° Customer View benötigten Daten über Kunden und deren Präferenzen in vielen Fällen nur in fragmentierter Form verfügbar sind. Zahlreiche Statements von Retail Executives zeigen auf, dass insbesondere Filialgeschäfte als wertvolle Datenquellen zur Gewinnung und Anwendung von Kundendaten nicht ausreichend genutzt werden. Zahlreiche Initiativen zielen daher darauf ab, in den Filialen mehr Daten zu sammeln. Umgekehrt sollen bestehende Kundeninformationen besser gebündelt und für personalisierte Beratungen genutzt werden.
COVID-19 und die Veränderung der Retail-Landschaft
Wenn wir diese Statements betrachten, erkennen wir, dass viele Entwicklungen, die wir heute als Teil des "New Normal" bezeichnen, in Wirklichkeit gar nicht neu sind. Schon lange vor COVID-19 haben Telekomunternehmen mit der Entwicklung und Umsetzung von Strategien zur Transformation ihres Retail Setups begonnen.
Zweifelsohne hat die Pandemie die Regeln im Retail Business grundlegend verändert. Durch die Pandemie erfuhr ein bereits länger andauernder grundlegender Wandel plötzlich eine massive Beschleunigung. Sie hat das Kaufverhalten der Konsumenten nachhaltig beeinflusst. Kurzfristig waren Service Provider gezwungen, ihre Retail Strategien zu überdenken und neue Prioritäten zu setzen. Während viele Projekte auf Eis gelegt wurden, mussten andere in kürzester Zeit umgesetzt werden, um mit den neuen Rahmenbedingungen Schritt halten zu können. Mit der Verlagerung der Einkaufsaktivitäten auf Online-Kanäle wurde der Ausbau digitaler Kommunikationsangebote zur „Prio1“ Aufgabe für viele Retailer und Telcos.
In diesem Kontext begannen viele Telekommunikationsunternehmen die Strategien für ihre Geschäftsfilialen zu überdenken. Marken wie Virgin Media und Carphone Warehouse haben einen Teil ihrer Geschäfte oder sogar ihr gesamtes Filialnetz stillgelegt. Gründe dafür liegen unter anderem im Kosten-Nutzen-Aspekt teurer Filialen und dem ungleichen Wettbewerb mit Online-Playern, die den Service Providern in Bezug auf Produktvielfalt und Promotions die Stirn bieten.
Gleichzeitig zeigt die Pandemie die Grenzen digitaler Kundeninteraktion auf. Hier offenbaren analoge Touchpoints ihre große Stärke. Stationäre Filialen ermöglichen eine persönliche Interaktion und erfüllen das Bedürfnis nach einem eines Einkaufserlebnis, das alle Sinne anspricht.
Retail Filialen behaupten sich als sozialer Raum, der den Kunden einen Mix an digitalen und analogen Erfahrungen bietet. Das macht sie zum wichtigen Bestandteil einer modernen Omnichannel-Umgebung.
In diesem Bewusstsein haben Telekommunikationsunternehmen neue, attraktive Ladeneinrichtungen entwickelt. So hat Magenta Austria soeben sein neues Tiny-Store-Shopkonzept vorgestellt. Der führende neuseeländische Service Provider Spark wiederum hat ein Flagship-Store-Konzept entwickelt, das bei den World Retail Awards neben internationalen Retail Brands wie Nike, Samsung oder LEGO für die Kategorie "Best Customer Experience Initiative - Retailer" nominiert wurde.
Die Retail-Transformation geht weiter
Telekommunikationsunternehmen haben hervorragende Arbeit geleistet, um die Menschen während der Pandemie miteinander in Verbindung zu halten. Nun, da das Chaos der Pandemie langsam in eine neue Routine übergeht, gilt es alte Konzepte zu prüfen, kurzfristig eingeführte Prozesse abzurunden und geparkte Initiativen fortzuführen. Die Retail Transformation geht unbeirrt weiter. Aus unseren Gesprächen mit Retail Executives wird die Retail Agenda 2022+ vieler Telcos folgende Themenschwerpunkte umfassen.
Die Umsetzung einer Unified Retail Strategy
Aus Kundensicht ist eine Omnichannel Customer Journey im Sinne von „Anything, Anythime, Anywhere“ zum De-facto-Standard geworden. Die IT-Realität vieler Service Provider hinkt dem jedoch nach wie vor hinterher. Was in der Theorie großartig klingt, wird in der täglichen Praxis durch redundante oder isolierte Systeme, inkonsistente Prozesse und Ineffizienzen behindert. Nicht alle Telekoms können das Versprechen eines nahtlosen Service-Erlebnisses schon jetzt erfüllen. Noch müssen sie ihre Verkaufswelten auf der Basis einheitlichen Daten und Prozesse zusammenführen. Mit einer „Unified Retail“ Strategie werden sie am Ende jedoch die Kundenzufriedenheit und gleichzeitig ihre Profitabilität weiter steigern können.
Die Sammlung und Nutzung von Kundeninformationen
Die Umsetzung einer Unified Retail Strategie setzt das Verständnis einer typischen Customer Journey voraus. Nur so lässt sich der Kundenservice weiter vereinfachen und personalisieren. Die Digitalisierung der Kundeninteraktion in analogen Räumen wie den Geschäftsfilialen eröffnet hier zahlreiche Chancen. Mit der richtigen Strategie lassen sich Filialen als wertvolle Quellen für die Anreicherung von Kundendaten erschließen. Gleichzeitig werden gebündelte und aufbereitete Kundendaten in der Hand der Verkaufsberater zu einem wichtigen Tool zur Steigerung von Kundenzufriedenheit und Umsatz.
Die Nutzung von Filialen als Delivery- und Return Centers
Der Omnichannel-Imperativ stellt besonders hohe Anforderungen an die Filiallogistik. Da Kunden nicht in Channels denken, erwarten sie einen durchgängigen Service, egal wo im Kaufprozess sie sich befinden und welchen Touchpoint sie gerade nutzen. In diesem Kontext müssen Telekoms ihre Logistik-Systeme hinsichtlich folgender Kriterien bewerten:
- Bietet das System den erforderlichen Zugriff auf sämtliche Warenbestände im Filialnetz?
- Ermöglicht das System eine nahtlose Abwicklung von Channel-übergreifenden Bestell-, Transfer- und Rücknahmeprozessen wie beispielsweise Click & Collect, Direktbelieferung oder die Rücknahme von Online Bestellungen im Shop?
- Liefert das Replenishment Forecast System zuverlässige Daten für eine präzise Warendisposition?
Nur wenn diese Kriterien erfüllt sind, können sich Filialen zu wichtigen Service-Hubs für die komfortable Abwicklung von Kundenaufträgen und Rücknahmeprozessen im Omnichannel Kontext entwickeln.
Die Öffnung und Vereinheitlichung der Retail Systemarchitektur
Viele Service Provider haben damit begonnen, ihre Business Support Systeme (BSS) auf der Basis standardisierter, offener Softwarekomponenten und State-of-the-Art Design Prinzipen neu aufzubauen. Die Nutzenargumentation für den Umstieg auf servicebasierte Plattformlösungen liegt in der Steigerung von Effizienz und Agilität im Hinblick auf die Einführung neuer Prozesse und Innovationen. Konkret wird damit die Zielsetzung verfolgt, die Aufwände und Kosten für die Integration, Anpassung und Wartung der Retail IT zu reduzieren.
Die Nutzung neuer Technologien zur Steigerung des Einkaufserlebnisses und der Retail Performance
Aufbauend auf diesen offenen Commerce Plattformen lassen sich neue digitale Front-End-Lösungen einsetzen. In diesem Zusammenhang kommen Technologien wie KI, IoT, Biometrie, Roboter, Bilderkennung, Standortverfolgung, Smart-Checkout und Augmented Reality verstärkt zur Anwendung. Richtig eingesetzt ermöglichen diese smarten Retail Technologien Optimierungen in Bereichen wie Bestandsmanagement, Checkout und Produktberatung. So kann beispielsweise Künstliche Intelligenz (KI) genutzt werden, um das Käuferverhalten besser zu antizipieren und personalisierte Angebote bereitzustellen.
Unterstützung der neuen Rolle von Verkaufsberatern
Das Argument, dass in der persönlichen Wissensvermittlung durch Experten die große Stärke von Retail Stores liegt, ist zusehends zu relativieren. Der unbeschränkte Zugang zu Produktinformationen und Lösungsanleitungen für Konsumenten verändert das Verhältnis zwischen Verkäufer und Kunden. Im Lichte dieser Veränderung wird der Verkaufsberater künftig nicht mehr als allwissender Informationsvermittler agieren, sondern seinen Kunden als Kurator dabei unterstützen, die wichtigen Informationen zu filtern und daraus die beste Kaufentscheidung abzuleiten.
Darüber hinaus werden verstärkt Ansätze verfolgt, in denen Filialmitarbeiter auch Kundenberatungen auf digitalen Kanälen übernehmen. Virtuelle Shopumgebungen verknüpfen hierbei den Komfort des Online-Shoppings mit den Vorteilen der persönlichen Kommunikation. Auf diese Weise können Telekoms ihren Kunden ein digitales Einkaufserlebnis bieten, das weit über die begrenzten Interaktionsmöglichkeiten herkömmlicher Online Shops hinausgeht.
Diese neuen Ansätze erfordern jedoch eine besondere Unterstützung und Motivation der Mitarbeiter. Nur mit Hilfe entsprechender Trainings und einer Unterstützung durch anwenderfreundliche digitale Assistenten können die Verkaufsberater den hohen Anspruch ihrer Kunden erfüllen. Denn eines bleibt unverändert - gut geschulte und perfekt unterstützte Mitarbeiter sind der Schlüssel zu einem perfekten Serviceerlebnis.
Erweiterung des Self-Service Angebots
Eine Zielsetzung, die gleichzeitig die Steigerung des Kundenkomforts sowie den Sicherheitsaspekt adressiert, liegt in der Vermeidung oder Beschleunigung zeitraubender Abläufe im Filialbetrieb. Dazu zählt beispielsweise die Beseitigung von Warteschlangen durch die Einführung smarter Lösungen für Terminverwaltung und Queue Management. Eine tragende Rolle spielt auch die Bereitstellung eines umfassenden Self-Service-Angebots. In Bereichen wie der Verkaufsberatung und dem Checkout tragen Self-Service Lösungen wesentlich dazu bei, die wertvolle Zeit der Kunden zu sparen und das unvorteilhafte Bild überfüllter Filialen zu vermeiden. Gleichzeitig bieten sie eine Entlastung für das Verkaufspersonal, das sich nun mehr Zeit für eine hochwertige Kundenberatung nehmen kann.
Fazit
Die Pandemie hat zweifelsohne Bewegung in die Strategieplanung für den Bereich Telekom-Retail gebracht. Sie führte einer Neubewertung von Zielen und Projekten. Letztlich beschleunigte sie aber nur einen Wandel, der bereits im Gange war.
Es gibt jedoch keinen Grund zur Annahme, dass die Retail Transformation generell mit dem Verschwinden der Telco-Filialgeschäfte und analoger Kundenkommunikation gleichzusetzen ist. Zu unterschiedlich sind die Unternehmensphilosophien und Customer-Experience-Konzepte der Telcos - zu divers sind die Präferenzen und Typologien der Kunden.
Aber eines ist klar - der grundlegende Wandel im Verbraucherverhalten ist verbunden mit steigenden Erwartungen an die Service-Qualität, einer höheren Flexibilität in Bezug auf Anbieterwechsel und einer steigenden Kunden-Macht in der Sphäre digitaler Kommunikation. Dies wirft für Telekommunikationsunternehmen folgende Fragen auf:
- Wo können wir unsere Dienste im Retail Umfeld weiter verbessern?
- Wie können wir es unseren Kunden leichter machen, mit uns in Kontakt zu treten?
- Wie können wir unsere Mitarbeiter noch besser dabei unterstützen, unseren Kunden einen hochwertigen Service zu bieten?
- Wie können wir die Komplexität unserer Systeme und Prozesse reduzieren, um noch effizienter und leistungsfähiger zu werden?
- Wie können wir im Filialgeschäft dazu beitragen, unsere Nachhaltigkeitsbestrebungen zu unterstützen?
In der kreativen Beantwortung dieser Fragen liegt der Schlüssel zum künftigen Erfolg von Retail Executives.